Die Geschichte Offenbacher Juden

Erstmals erwähnt werden Juden in Offenbach in Aufzeichnungen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.

Anfang des 17. Jahrhunderts wurde vielen Juden, die im Zuge des Aufstieg Offenbachs zur Industriestadt zuzogen, die Aufnahme durch die liberale Haltung der Isenburger, Hugenotten und Waldensern gewährt. Ende des 17. Jh., Offenbach war eine namhafte Industriestadt geworden, kamen weitere Juden – vorwiegend Strumpfweber und Wollfabrikanten – zum Leben und Arbeiten nach Offenbach. Die Offenbacher Juden unterstanden dem Oberrabbinat Friedberg, die Gottesdienste wurden in Bürgel besucht. Nachdem 1706 besondere Gemeindestatuten erschaffen worden waren, entstand ein Jahr später eine selbständige Jüdische Gemeinde in Offenbach am Main.

Durch das großherzogliche Gesetz vom 2. August 1848 erhielten die hessischen Juden volle bürgerliche Gleichberechtigung.

Anfang des 18. Jh. wurde die erste Synagoge in Folge eines Brandes in der Betstube neu errichtet. Im Zuge der allgemeinen Wandlungen erfuhr auch die Ausbildung und das Amt des Rabbiners Veränderungen, und es entstanden Reformbewegungen, bei denen sich die Liberalen, das Reformjudentum und die Neuorthodoxie herausbildeten. Die Mehrzahl der größeren Gemeinden spaltete sich in Liberale und Orthodoxe und zeigte schon damals große Bereitschaft für Annäherung und Ausgleich.

Im 19. Jh. entwickelte sich Offenbach schwungvoll zu einer modernen Industriestadt. Juden waren maßgeblich an der industriellen Entwicklung der Stadt Offenbach beteiligt (Lederwarenindustrie, Parfümerie, Seifenausstattung, Drucker mit hebräischen Lettern, Bankiers, Lichtfabriken, Wechselgeschäft, Kaufhäuser). Vor allem das Wechselgeschäft blühte, es war auf dem Offenbacher Marktplatz, wo mit unterschiedlichen Währungen vieler Länder gehandelt wurde, unabdingbar. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. reformierte die Gemeinde vordringlich die formale Neuordnung des Gottesdienstes, der sich sehr deutlich am Vorbild christlicher Liturgie orientierte.
Ende des 19. Jh. stieg die Anzahl der Gemeinden, welche von liberalen Rabbinern geführt wurden. Die Kontroversen zwischen liberalen und orthodoxen Juden ließen nach, und man lebte tolerant miteinander. Anfang des 19. Jh. siedelten sich viele Juden nach der Flucht aus Osteuropa in Offenbach an. Da das jüdische Leben in Osteuropa noch wesentlich länger als im Westen traditionell verlief, stellten die so genannten „Ostjuden” eine erhebliche Anzahl von Personen, die zur Ausübung des jüdischen religiösen Dienstes in Deutschland benötigt wurden. 1910 lebten 1.131 vornehmlich russische Juden in Offenbach.

Offenbach war als Gemeinde völlig anders gegliedert als Frankfurt – „Viele Mitglieder der Gemeinde waren aktive, bewusste und kundige Juden, die es mit dem religiösen Liberalismus ernst nahmen”, schrieb Mally Dienemann über Offenbach. Ihr Mann Max Dienemann erwarb sich einen Freundeskreis, zu dem nicht nur Juden, sondern auch beispielsweise die Würdenträger der christlichen Konfessionen gehörten. Er befasste sich intensiv mit wichtigen Gegenwartsfragen des religiösen Lebens, verfasste aufschlussreiche theologische und religionsphilosophische Schriften und hielt Vorträge in den großen Gemeinden Deutschlands. Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Offenbach war in den Jahren 1911-1933 Dr. Max Goldschmidt, ein Enkel des früheren Rabbiners Salomon Formstecher.

1919 war das Gemeindeleben sehr lebhaft und gut organisiert, doch durch die schnelle Machtergreifung der Nationalsozialisten kam das Gemeindeleben nach und nach zum Erliegen. In Offenbach gehörten neben dem Vorsitzenden Justizrat Dr. Goldschmidt im Laufe der Jahre u.a. noch Dr. Siegfried Guggenheim, Sally Gumb, Nathan Grünewald, Max Kamberg, Ludwig Rothschild, Theodor Führt und Friedrich Stein dem Gemeindevorstand an. 1933 übernahm Dr. jur. Siegfried Guggenheim die Leitung der Gemeinde. Er suchte, wie sein Vorgänger, die Öffnung nach außen und war Menschen wie Rudolf Koch oder Hugo Eberhardt freundschaftlich stets verbunden. Er war Mäzen und Förderer der Offenbacher Kunstgewerbeschule, der heutigen Hochschule für Gestaltung in Offenbach, sowie Mitbegründer des „Offenbacher Geschichtsvereins”.
Am 20. Juli 1945 fand die Neugründung der Jüdischen Gemeinde Offenbach unter Chaim Tyson und Max Willner mit insgesamt nur 12 Mitgliedern statt. Bis 1948 wuchs die Anzahl der Mitglieder auf 86 Gläubige. Erst ab 1957 stieg die Zahl stetig an, und 1986 war die Jüdischen Gemeinde Offenbach die stärkste Gemeinde im Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen. Die Synagoge in der Goethestraße wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und sollte nach ihrer Freigabe wieder als Kino und Theater genutzt werden. Nach Verhandlungen mit der Stadt Offenbach und JRSO (Jewish Restitution Successor Organization) wurde das Capitol endgültig an die Stadt verkauft und wird bis heute als Theatersaal und Kulturzentrum genutzt. Die neue (vierte) Offenbacher Synagoge in der Kaiserstraße wurde am 2. September 1956 durch den damaligen Vorsitzenden Max Willner eingeweiht. An dem Neuaufbau der Gemeinde leisteten ebenfalls Chaim Tyson und Prof. Dr. Herbert Lewin einen entscheidenden Anteil. Die „neue” Gemeinde hatte damals Platz für 60 Männer und 30 Frauen.

Durch den Zuzug vieler Juden aus den „Ostblockstaaten“ seit den Aufständen in Ungarn (1956), Prag (1968) und Polen (1967 und 1980), sowie nach den Abkommen zwischen Rumänien und Österreich kamen vermehrt Flüchtlinge aus diesen Ländern nach Offenbach am Main. Der Zerfall der Sowjetunion 1991 war ein weiteres geschichtlich bedeutsames Datum für die Gemeinde. All diese weltgeschichtlichen Ereignisse führten über die Jahrzehnte nach 1956 zu einem starken Anstieg der Mitgliederzahlen auf ca. 1000 Personen. So konnte die Gemeinde fast an die Stärke anknüpfen, welche die Vorkriegsgemeinde mit ihren 1500 Mitgliedern bis 1938 hatte. Nach dem Tode des Offenbacher Ehrenbürgers und Vorsitzenden der Gemeinde Max Willner im Jahre 1994 formierte sich die junge Nachkriegsgeneration als neuer Vorstand, welcher sich dem langjährig aufgebauten Erbe seines Vorgängers eng verpflichtet fühlte. Mit Prof. Alfred Jacoby folgte ihm ein Vorsitzender, der 1950 selbst in Offenbach geboren wurde. Mit Unterbrechungen (2002-2005, Vorsitzender: Dr. Kerem Weinberger) leitet er die Geschicke der Gemeinde zusammen mit seinen langjährigen Vorstandskollegen Mark Dainow und Henryk Fridman bis heute.

Es gelang diesen Vorständen, das große, noch zu Lebzeiten von Max Willner angestrebte Ziel, eine Vergrösserung der Gemeinde und deren Erweiterung zu einem Gemeindezentrum mit jüdischem Kindergarten umzusetzen. Max Willner hatte damals davon gesprochen, dass wegen der Zuwanderung und der stark gewachsenen Mitgliederzahl an den Feiertagen „der Kantor in der Synagoge singt, während die Mitglieder zum Zuhören auf der Straße stehen“.

Mit dem Neu- und Umbau vor Ort, welcher unter finanzieller Beteiligung des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Hessen, der Stadt Offenbach und der Landesregierung Hessens verwirklicht werden konnte, ergab sich für die Gemeinde eine ganz neue Perspektive zur Ausformung und Entwicklung jüdischen Lebens und jüdischer Identität in der Stadt am Main. Es entstand mit dem neuen Gemeindehaus ein Ort, der allen Mitgliedern, aber auch den Bürgern der Stadt Offenbach Räume für religiöse, kulturelle und soziale Aktivitäten anbietet. Das religiöse Leben wurde zudem durch die Bestellung von Mendel Gurewitz aus New York zum ersten Offenbacher Gemeinderabbiner nach dem Krieg nachhaltig gestärkt. Er steht damit in einer Reihe bedeutender Rabbiner wie Formstecher, Dienemann oder Guggenheim, die in der Gemeinde, aber auch in der Stadt selbst, hoch angesehen waren und bis zum Holocaust in Offenbach tätig sein konnten.

Rabbiner Gurewitz hat seit Antritt seines Rabbinats im Jahre 1998 eine Vielzahl von Mitgliedern in die Gemeinde und an seinen legendären Schabbat-Abendmahl-Tisch gebracht. Ohne seine Präsenz ist inzwischen ein religiöses Leben in Offenbach schwer vorstellbar. Auch das jährliche Entzünden des ersten Lichts anlässlich des Chanukka-Festes im Dezember auf dem Rathausplatz der Stadt ist eine Tradition, die Rabbiner Gurewitz fest in Offenbach installiert hat.
Speziell die Jugendarbeit wurde 2010 durch einen von Horst Schneider als Oberbürgermeister und Birgit Simon als Bürgermeisterin abgeschlossenen Stadtvertrag in den Mittelpunkt gerückt. Der Kindergarten, der unter Max Willner als provisorischer Holzanbau in den 50er Jahren erbaut wurde, ist heute der einzige jüdische Kindergarten im Landesverband. Unter der Leitung von Rimma Jumaschev bietet unser Kindergarten eine hervorragende Pädagogik für 40 Kinder an. Seither ist die Sonntagsschule „Alef“ (der erste Buchstabe des hebräischen Alphabets) für Kinder von 4-12 Jahren entstanden, welche großen Zuspruch bei den Eltern, aber auch bei den Kindern findet.
Insgesamt kann man sagen, dass sich die Vielfältigkeit, welche jüdisches Leben anbietet, seit den sehr bescheidenen und vom Holocaust geprägten Anfängen in den letzten 30 Jahren in unserer Gemeinde voll entfalten konnte. All dies führte zu einem aktiven, selbstbewussten und stark sozialen Zusammenleben in Offenbach.